Der „Kampf um die Begriffe“ zwischen den unterschiedlichen politischen Lagern, von dem Bodo Hombach in den 90er Jahren noch sprach, der findet längst nirgendwo mehr statt. Nirgends lässt sich der Siegeszug des ‚Neoliberalismus‘ bzw. der neoklassischen Theorie klarer verfolgen als auf dem sprachlichen Gebiet der Politik und des Journalismus. Alle Medien und Parteien verkünden ihre Ansichten heute in ein- und demselbem ‚Wording‘, selbst noch die Alu-Hüte in ihren Biotopen haben längst gelernt, ihre krummen Einsichten in die Metaphorik einer allgegenwärtigen ‚Begrifflichkeit der Effizienz‘ zu hüllen. Alles muss sich messen und berechnen lassen, und die Flüchtlinge oder die ‚Pleite-Griechen‘ sind dann wahlweise nur noch ‚nützlich‘ oder ‚schädlich‘. Die passenden Statistiken werden vom allgegenwärtigen Expertenunwesen anschließend zusammengeklöppelt.
Ich glaube, dass das diffuse Unbehagen an einer angeblichen ‚Lügenpresse‘ zumindest teilweise in diesem anwachsenden sprachlichen Einheitsbrei seinen Ursprung hat. Die Sprache einer vorherrschenden Ideologie zu einem gegebenen gesellschaftlichen Zeitpunkt bildet gewissermaßen einen ‚Denkkäfig‘, aus dem sich kaum jemand befreien kann. Nur das Lesen, vor allem von Texten aus anderen Zeiten, kann ein wenig kognitive Freiheit schaffen.
Unsere Wörter wirken bekanntlich wie Reize oder ‚Trigger‘ auf das Gehirn, sie übertragen keine Information, sondern sie setzen im anderen Bildwelten frei – oder Metaphern – Bilder, die wir längst schon in uns tragen. Aktiviere ich immer dieselben Regionen, dann verstärken sich diese. Die Frage ist, was mit uns geschieht, wenn wir solchen Prozessen unterliegen. Prasseln bspw. nur oft genug Wörter wie ‚Volkskörper‘, ‚Reinheit des Blutes‘ oder ‚Ehre‘ auf uns ein, dann leben wir über kurz oder lang in einer weithin faschistischen Gesellschaft, obwohl es sich bei diesem ‚Volkskörper‘ wie auch bei der ‚Reinheit des Blutes‘ nur um Chimären handelt. Es sind ja bloß Metaphern, die das Hirn besiedelt haben. Der Mischling hat faktisch kein reineres oder unreineres Blut als der germanische Inzucht-Bauer auf seinem Misthaufen, es sei denn, einer von beiden hätte sich eine Grippe oder Typhus eingefangen.
Metaphern beschreiben keine Realität, sie erschaffen eine Wirklichkeit, in der wir dann zu leben wähnen. Ob schwarz, rot, grün oder braun – heute bedienen sich alle bspw. aus der Kiste der Gesundheitsmetaphorik. Immer muss irgendetwas ‚fit gemacht‘ werden, meist für die ‚Herausforderungen der Zukunft‘. Natürlich ist ein Idealgewicht dabei nützlich, der Staat oder jede beliebige Organisation muss also ‚schlank‘ sein, und jede Bürokratie ‚wuchert‘ allemal wie ein Krebsgeschwür, zumindest aber ist sie ‚verkrustet‘ und verhindert so die gewünschte ‚Flexibilität‘, um dem wirtschaftsarteriellen ‚Reformstau‘ zu begegnen, der einen ‚Infarkt‘ der Ökonomie bewirken könnte. Zu nennen ist auch die Bildwelt der sozialen Isolation. Alles, was einer Organisation oder einer Vergemeinschaftung von Interessen gleichkommt, ist heute prinzipiell verderblich. Der Staatsbürger müsse also zunächst ein ‚gesundes Ego‘ entwickeln, jedwede ‚Individualität‘ führe hin zu diesem Ideal, keineswegs dürfe der Einzelne sich seiner ‚Selbstverantwortung‘ entziehen, weil wir dann in einer ‚Wohlfahrtsdiktatur‘ landen würden. Und keiner merkt, wie sich alle, die diesem Ideal nachjagen, dabei immer ähnlicher werden. Individualität als gesellschaftliches Ideal erzeugt Konformität und Kollektivität im Wettbewerb. Lauter ‚Individuen vom Fließband‘ …
Eine ganze Menge von Worthülsen wird dabei zunächst von den großen Metaphernschmieden ausgespuckt, wie der berüchtigten INSM. Sie werden also bewusst in Umlauf gebracht. Bis sie dann zur kurrenten Münze in allen Redaktionen und nachfolgend auch in den Köpfen dort geworden sind. Allgegenwärtig ist längst die ‚Überregulierung‘, die ‚Flexibilisierung‘ und die ‚Restrukturierung‘, obwohl es dort allemal um den Abbau und Verlust von Kontrollen, von Schutzmechanismen und von Arbeitsplätzen geht. Trotzdem hat jeder längst gelernt, mit diesen Worthülsen ganz denkbefreit zu operieren. An allen Fronten ist die Wirtschaftssprache in unseren Alltag eingezogen – unsere Welt wurde gewissermaßen ‚verexcelt‘: ‚Leistung‘, ‚Effizienz‘, ‚Mobilität‘, ‚Wettbewerb‘, ‚Konkurrenz‘ oder ‚Evaluation‘ – alles, was sich berechnen, bewerten und vergleichen lässt, hat einen restlos positiven Beiklang erhalten.
Was sich nicht in diese innere Tabellenkalkulation des Utilitarismus fügt, bleibt dabei natürlich auf der Strecke, es erhält keine mentale Förderung mehr: Mitgefühl, Freundschaft, Verlässlichkeit, Verantwortung … Die Folgen sind unübersehbar – zum Beispiel auf dem Gebiet der Kultur: Die Qualität von Musik oder Literatur bemisst sich nur noch an Verkaufszahlen, die Kunst am Wiederverkaufswert, der Rang eines Theaterstücks an der Menge der Besucher. Auf sprachlichem Gebiet hat der ‚Neoliberalismus‘ damit an allen Fronten zunächst gesiegt. Zumindest solange, bis er absehbar scheitern wird … daher wohl das große Unbehagen. Mit den Wörtern der Ökonomie lässt sich der Zustand der Welt zunehmend weniger zur Deckung bringen. So gesehen, kann man auch sagen: Der Neoliberalismus hat sprachlich – und damit auch faktisch – versagt. Er weiß das nur noch nicht …
(Dies ist ein Text aus Klaus Jarchows Blog ‚Stilstand‚)