Zeitungsdeutsch

Früher, vor langer, langer Zeit, da gab es in Zeitungsverlagen mal Lektoren. Die Spezies scheint ausgestorben, und wir haben uns an den Schwurbel längst gewöhnt:

 

Wenn Verlage Kommentare abschalten, werden die notwendige Verdichtung von kulturellen Prozessen die technischen Plattformen machen.“ (Carta)

Wer jault da unter meinem Schreibtisch? Ach so, die vom Stil getretene Grammatik. Der Weg führt weg von der Dichtung, hin zur Verdichtung.

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Putin besteht nicht mehr auf französische Kriegsschiffe.“ (FAZ)

Auf solche Ausdrucksweise stehe ich auch nicht …

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Sicherlich ist es feinsinnige Ironie, die den ‚Standard‘ dazu brachte, statt ‚vielversprechend‘ nur ‚viel versprechend‘ zu schreiben. Zum Finalstadium war’s dann ja auch nicht mehr so weit:

„Team Stronach: Vom viel versprechenden Team zur Verlierertruppe.“

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Auf dem wirtschaftlichen Bein hüpft die Globalisierung voran, auf dem sozialen hinkt sie.“ (Süddeutsche Zeitung)

Tscha, die Globalisierung, diese olle Hinkhüpfdohle … und die komische Muse hat sich hier in einen Redakteur verguckt.

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Hannah Bethke ist Professorin an der Universität Greifswald. In einem FAZ-Artikel beschwert sie sich über stilistische und grammatische Defizite des heranwachsenden Prekariats, vermutlich völlig zu Recht. Wie aber steht es um die Sprache der Kritikerin selbst?

„Nur hier wird sichtbar, inwieweit der Inhalt der Literatur tatsächlich verstanden und analytisch durchdrungen wurde und ob die dort (hoffentlich!) gewonnenen Erkenntnisse in einen wissenschaftlichen Text transformiert werden konnten, der selbständig geschrieben worden ist.“ (FAZ)

Wer über Stil redet, sollte Stil haben. Diese bildungskritische Tirade leidet selbst an ‚Sprachkrebs‘, an einer bürokratischen Verschwurbelung einfachster Sachverhalte, auch wenn die Grammatik halbwegs unbeschadet die Tortur übersteht.

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„Die Hühner im Stall gackern laut das Prinzip der friedlichen Koexistenz vor sich hin. Doch wenn der Fuchs kommt und sich nicht daran hält, gibt es anschließend meist ein Huhn weniger.“ (Tagesspiegel)

Ich denke mal, der Malte Lehming erfuhr nie jenen himmelschreienden Sound, der sich erhebt, besuchen Fuchs oder Marder ungebeten einen Hühnerstall. Beim Gackern und bei nur einem Hühnchen an Krimtartar bleibt’s jedenfalls nicht.

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Kanzlerin Angela Merkel ringt momentan Tag und Nacht um die Rettung unseres Wohlstands. In Deutschland wird das nicht gesehen, geschweige denn wertgeschätzt“. (Die Welt)

Ach, wie sie dort ringt, besonders nachts, und wie sie ihren Gegner gerade mit einem derivatären Riesenhebel und mit gekonntem Hüftwurf auf die diplomatische Matte warf – tscha, Hofjournalismus, Geflöte oder Mausitum hieß diese devote Stilform früher mal, heutzutage fiele mir eher etwas Spinndoktorisch-Proktologisches ein …

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Nein, das alles sind keine Ausnahmen, diese wenigen Beispiele bilden schon eher eine Regel …